Unzureichende Verkehrsinfrastruktur: „Bayerisches Chemiedreieck im Dauerstress“

(11.09.2023)

In einem führenden deutschen Logistik-Magazin beklagen Sprecher des ChemDelta Bavaria die veraltete Verkehrsinfrastruktur und drängen auf eine durchgehende Elektrifizierung und den zweispurigen Ausbau der Bahnanbindung nach Burghausen

Hamburg/Burghausen. In einer Veröffentlichung der Deutschen Verkehrs-Zeitung (DVZ) vom 6. September 2023 wird die unzureichende Verkehrsinfrastruktur bei Bahnanbindung (Bahnstrecke München–Mühldorf– Freilassing) und dem Weiterbau der Autobahn A94 Richtung Passau für das Bayerische Chemiedreieck beschrieben. Sprecher der Wacker Chemie AG und der Initiative ChemDelta Bavaria bringt insbesondere der schleppende Bahntrassen-Ausbau auf die Palme, weil man mit deutlich steigenden Schienenverkehren in den nächsten Jahren rechnet.    

Der DVZ-Beitrag unter der Überschrift „Bayerisches Chemiedreieck im Dauerstress“ im Wortlaut: „Wer erinnert sich noch an Wacker Burghausen? Der Fußballverein, der rund 15 Jahre lang bis 2017 in der zweiten Bundesliga spielte, trägt den Namen des größten Arbeitgebers im sogenannten bayerischen Chemiedreieck. Außer Wacker Chemie haben dort zwei Dutzend weitere Branchenunternehmen, darunter BASF, Borealis, Linde und OMV, ihre Standorte aufgebaut. Mit über 20.000 Arbeitsplätzen erzielen diese Unternehmen 10 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Jeder 20. Euro in der Chemieindustrie wird in sechs Kleinstädten unweit der österreichischen Grenze verdient.

Schlechte Verkehrsanbindung
Trotzdem ist das Dreieck außerhalb des Freistaates nur wenigen ein Begriff, was auch an der peripheren Lage liegt. Die Verkehrsanbindungen sind seit Jahrzehnten unbefriedigend und werden nur langsam besser. Die Schienentrassen nach München beziehungsweise Freilassing sind über weite Strecken hinweg einspurig und immer noch nicht durchgehend elektrifiziert. Zu allem Überfluss sind viele Betonschwellen schadhaft, was Langsam-Verkehre zur Folge hat. Das 2015 eröffnete Kombiterminal Burghausen (KTB) macht immerhin bimodale Verkehre zu den Häfen an Nordsee und Adria möglich und hat den Exportanteil auf über 60 Prozent steigen lassen.

Die Straßenverbindungen sind erst seit 2019 nach Eröffnung des jüngsten A94-Teilstücks Richtung München durchgehend vierspurig. Der weitere Ausbau Richtung Passau ist noch nicht gesichert. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 stuft dieses Bauvorhaben in den vordringlichen Bedarf ein. „Die Verkehrsinfrastruktur bleibt nach wie vor weit hinter den Erfordernissen für einen einigermaßen zuverlässigen Güterverkehr zurück“, fasst ein Sprecher von Wacker Chemie die Situation zusammen.

2035 erst soll die Bahntrasse nach Burghausen elektrifiziert und zweispurig ausgebaut sein
Solche Unsicherheiten treffen eine Region, welche sich von der aktuellen Wirtschaftskrise besonders bedroht sieht. Die Energiekosten sind in jedem Unternehmen in die Höhe geschossen. Die Gasversorgung über den Speicher Haidach bei Salzburg war 2022 wegen Leerständen stark gefährdet und konnte 2023 in einem neuen Nutzungsvertrag zwischen Berlin und Wien vorerst gesichert werden. Für weitere Unsicherheit sorgt die EU-Kommission. Sie will schwer abbaubare per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS) verbieten. Vor wenigen Wochen kündigte der amerikanische Konzern 3M die Schließung seines Tochterunternehmens Dyneon an, das diese für viele Industriebetriebe wichtigen Stoffe produziert. Mindestens 700 Arbeitsplätze im Chemiedreieck werden wohl verlorengehen.

Für den meisten Ärger sorgt jedoch der seit Jahrzehnten geplante und unverändert stockende Ausbau der Bahnstrecke München–Mühldorf– Freilassing, im Bahn-Jargon „ABS38“ genannt. Auch dieses Bauvorhaben ist im Bundesverkehrswegeplan 2030 als „vordringlich“ eingestuft. Ausgerechnet das 2020 verabschiedete Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (MgVG), das eigentlich Bauvorhaben beschleunigen sollte, sorgt für weitere Verzögerungen. Für ABS38 und andere ausgesuchte Infrastrukturprojekte ist demnach nicht mehr ein Planfeststellungsverfahren notwendig, sie können vielmehr auf Basis des Gesetzes gebaut werden.

Allerdings muss DB Netz jetzt die gesamte Trasse auf einmal planen und vorab unter anderem alle Umweltbeeinträchtigungen klären. Das zieht sich hin. Mit Planfeststellungsverfahren konnte DB Netz hingegen Abschnitt für Abschnitt vorgehen und diese nacheinander realisieren. Jetzt rechnet die Bahntochter frühestens 2027 mit dem Beginn der Bauarbeiten und voraussichtlich Mitte der 30er Jahren mit deren Abschluss. Das sind fünf Jahre später als ursprünglich vorgesehen.

Mehr Güter auf die Bahn
Genau das bringt die Chemiewirtschaft auf die Palme, weil sie mit deutlich steigenden Schienenverkehren in den nächsten Jahren rechnet. „Die Güterverkehre auf der Schiene im Chemiedreieck liegen aktuell bei über 6 Millionen Tonnen im Jahr und werden in Zukunft stärker wachsen als die Güterverkehre auf der Straße“, argumentiert Bernhard Langhammer, Sprecher von Chemdelta Bavaria. Der Unternehmensinitiative haben sich 18 Unternehmen aus dem Chemiedreieck angeschlossen. Branchenprognosen zufolge werden die Schienengüterverkehre bis 2030 um über 45 Prozent wachsen, was ABS38 noch dringlicher macht. Das Ziel Klimaneutralität fordert nun mal seinen Tribut.

„Für die chemische Industrie wird die Kreislaufwirtschaft eine zunehmende Bedeutung gewinnen, was zusätzliche Transportkapazitäten voraussetzt“, gibt Langhammer zu bedenken. „ABS38 ist auch für die weitere Entwicklung und Verlagerung der Verkehre von der Straße auf die Schiene maßgeblich“, nennt Berthold Jesse, Sprecher der Geschäftsführung des KT Burghausen, einen weiteren wichtigen Aspekt.

Mittlerweile fordert mancher Politiker die Rückkehr zum alten Planfeststellungsverfahren, was mit einer Ausstiegsklausel im MgVG zwar möglich wäre, aber wohl zu spät kommt. Jetzt tingelt die Projektleitung von DB Netz durch die Region und wirbt bei den Anliegergemeinden um Zustimmung für die Modernisierung der 145 Kilometer langen Trasse. Von Tieferlegungen einzelner Gleise bis zum Design der Lärmschutzwände kommt hier jedes Detail zur Sprache.

Wasserstoffverbund gegründet
Wenn nach 2035 die über 150 Jahre alte Trasse tatsächlich durchgehend elektrifiziert und zweispurig ausgebaut ist, werden die zwei Dutzend Chemieunternehmen im Dreieck viele klimaneutrale Maßnahmen längst realisiert haben. Möglicherweise produzieren dann manche bereits mit Wasserstoff statt mit Gas. Die Weichen hierfür soll ein mit öffentlichen Geldern gefördertes Forschungsprojekt stellen, das öffentliche Hand und Wirtschaft mit der TU München und der TH Rosenheim im Frühjahr 2023 gestartet haben. Ein Wasserstoffverbund zwischen mehreren Unternehmen existiert bereits.

Geplant ist auch die Produktion von grünem Wasserstoff vor Ort, welcher über das Kombiterminal vornehmlich in Süddeutschland vertrieben werden soll. Und natürlich sollen Werks- und Schwerlastverkehre mit dem klimaneutralen Energieträger fahren. Den hierfür benötigten Strom soll unter anderem ein Windpark mit 40 bis 280 Meter hohen Anlagen liefern, den das deutsch-französische Gemeinschaftsunternehmen Qair im Staatsforst bauen will. Der Park wäre der bislang größte in Bayern.

Von: https://www.dvz.de/

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Sprecher des ChemDelta Bavaria beklagen die veraltete Verkehrsinfrastruktur im Bayerischen Chemiedreieck und drängen auf eine durchgehende Elektrifizierung und den zweispurigen Ausbau der Bahnanbindung nach Burghausen, wie hier zum Beispiel zum weltweit größten Produktionsstandort der Wacker Chemie AG, wo über 8.000 Menschen arbeiten. (Foto: Wacker Chemie AG)