Coldplasmatech – „Heilen mit Plasma“ mit Siliconen von Wacker Chemie Burghausen

(10.07.2018)

Revolutionäre Ansätze in der Medizin mit Silicon-Produkten der Wacker Chemie -

Burghausen/Greifswald.
Silicone. Der Stoff hat‘s in sich, vor allem in der neu entwickelten Anwendung von Coldplasmatech – „Heilen mit Plasma“. Das Thema klingt nach Science Fiction. Wieder einmal. Science, also Wissenschaft, trifft zu. Aber die Fiction ist der Realität gewichen und das Verfahren preisgekrönt.

Auf der Basis von Siliconen der Wacker Chemie aus Burghausen hat das Greifswalder Unternehmen Coldplasmatech ein neues Heilerfahren entwickelt, das neue Lebensqualität für Patienten mit nicht oder schwer heilenden Wunden und vor allem Betroffenen von Dekubitus, also Wundliegen, verspricht. Im Wettbewerb um den Deutschen Innovationspreis 2018 wurde das Verfahren nun in der Kategorie Start-ups ausgezeichnet; bereits zuvor hatte es mehrere Preise erhalten.

Am Ausgang der vielversprechenden Entwicklung steht die Entscheidung der Wacker Chemie, auf die Entwicklung von Siliconen auf Basis des weltweit im Überfluss vorhandenen Rohstoffs Silicium, im Grunde Quarzsand, zu setzen. Das war vor über 70 Jahren. Mittlerweile hat das Unternehmen eine Vielfalt an über 3000 unterschiedlichen Produkten entwickelt, die zugleich für rund 4800 Arbeitsplätze und über zwei Milliarden Euro Umsatz stehen. Und die Entwicklung geht weiter, auch und gerade am Standort Burghausen. Seit Jahren ist es das erklärte Ziel von Wacker, stets höherwertige und kundenspezifische Anwendungen zu ermöglichen.

Das innovative Wundtherapieverfahren des Greifswalder Start-ups setzt auf nun sogenanntes kaltes Plasma. Seit langem ist bekannt, dass kaltes Plasma eine stark sterilisierende Wirkung entfalten und zugleich die Wundheilung aktivieren kann. Sogar multiresistente Keime, gegen die keine Antibiotika mehr helfen, werden durch den Kontakt mit dem elektrisch aufgeladenen Gas zuverlässig abgetötet.

Zur Anwendung der Plasmatechnologie in der Medizin gab es bislang jedoch lediglich Geräte, die etwa die Größe eines dicken Stiftes hatten und nur zur Therapie kleinerer Wunden geeignet waren. Die Greifswalder Forscher um Coldplasmatech haben nun Methoden entwickelt, die mit großflächigen Siliconauflagen arbeiten und auch entsprechend große Wundflächen behandeln können.

„Plasma enthält unter anderem Ionen, UV-Strahlung und Radikale – einen Mix aus verschiedenen aktiven Substanzen“, erklärt Dr. Carsten Mahrenholz, Chemiker am Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP) in Greifswald und einer der Gründer des Start-up-Unternehmens. Kaltes Plasma bildet sich beispielsweise, wenn ein Gas durch starke elektrische Felder geschickt wir. Dann lösen sich die Elektronen aus den Molekülen, das Gas wird elektrisch leitfähig und beginnt blau zu leuchten.

Bei ihren Untersuchungen stellten die Greifswalder Forscher fest, dass kaltes Plasma Bakterien effizient abtöten kann. Sogar die berüchtigten antibiotikaresistenten Krankenhauskeime lassen sich damit wirkungsvoll bekämpfen. Der Wirkmechanismus beruht auf rein physikalischen Prozessen, die unter anderem die Zellmembran der Mikroben angreifen und dabei mehrere ungerichtete chemische Reaktionen auslösen. Sie wurden von den Forschern als Ursache erkannt, dass die krankmachenden Keime keine Resistenzen entwickeln können, wie das bei gezielt wirkenden Antibiotika früher oder später der Fall ist.

Und eine weitere Erkenntnis: Obwohl kaltes Plasma Keime abtöten kann, werden menschliche Zellen von ihm nicht negativ beeinflusst – im Gegenteil: „Sie reagieren zum Beispiel mit der Ausschüttung von Cytokinen“, erklärt Tobias Güra, Medizinökonom im Team von Coldplasmatech: „Diese Botenstoffe kurbeln das Immunsystem und das Zellwachstum an und sorgen dafür, dass sich neue Blutgefäße ausbilden.“

Seit rund zwei Jahrzehnten forschen mittlerweile Wissenschaftler am Greifswalder INP an einem Plasmazustand, der – im Gegensatz zur Sonne oder zu Blitzen nicht glühend heiß, sondern kühl ist. Eine Projektgruppe unter Leitung des Institutsdirektors Prof. Dr. Klaus-Dieter Weltmann arbeitet zudem seit 2005 an der Entwicklung von kalten Plasmaquellen zur Wundbehandlung. Vor fünf Jahren wurde der erste einsetzbare Erfolg erzielt: Der sogenannte Plasma-Pen von der Größe eines Füllfederhalters erhielt die Zulassung als Medizinprodukt. Ergänzend begannen Untersuchungen zu flächigen Plasmen, um größere Wundareale effektiver behandeln zu können.

Ein enormer Bedarf für die moderne Heilmethode zeichnet sich in der Geriatrie ab. Die Menschen werden älter. Der Pflegebedarf steigt und damit auch das Risiko, sich durch Bettlägerigkeit wund zu liegen.

Laut einer Studie des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Berliner Charité weisen zehn Prozent aller bewegungsunfähigen Patienten in deutschen Pflegeheimen einen Dekubitus auf, in Kliniken sogar 27 Prozent. Zudem wächst die Anzahl an Diabetes-Patienten, die aufgrund ihrer Stoffwechselerkrankung zu Durchblutungsstörungen neigen und damit ebenfalls zu schlecht heilenden Wunden.

Silicone bieten im Medizinbereich eine Reihe von Vorteilen: Sie ermöglichen einen sehr schonenden Verbandwechsel. Die Auflage verklebt nicht mit der Wunde, so dass das Gewebe nicht irritiert wird und keine Schmerzen entstehen. Dank der Atmungsaktivität des Materials schaffen die Silicone von Wacker zudem ein optimales Heilungsmilieu.

Ein patentiertes Herstellungsverfahren von Wacker erlaubt extrem dünnen Siliconfolien. Die Schichtdicke der Folien ist bis zu 20 Mikrometer fein, also weniger als halb so stark wie ein Haar, und weicht über die gesamte Breite und Länge der Bahn höchstens um ±5 Prozent vom Sollwert ab. Diese Präzision und die silicontypischen Eigenschaften ermöglichen technische Anwendungen, die im industriellen Maßstab bislang nicht realisiert werden konnten. Gefertigt wird unter Reinraumbedingungen ohne Einsatz von Lösungsmittel.

Der Startschuss für die Zusammenarbeit von Wacker mit dem Coldplasmatech-Team fiel im Januar 2014 bei einem ersten Treffen der Experten aus Burghausen und Greifswald. Zum Einsatz kommen ein gelartiges Silikon und ein besonders weicher Siliconkautschuk. In das Silicon sind elektrische Leiterbahnen eingebettet, die mit der notwendigen Energie versorgt werden. Dann wird das Plasma-Patch mit einem Spannungsgenerator verbunden. Zudem ist die Auflage so konstruiert, dass sich zwischen Wunde und Silicon das Plasma ausbildet. „Die Therapie wird absolut schmerzfrei sein und nur wenige Minuten dauern“, sagt Tobias Güra: „Die Patienten spüren lediglich ein leichtes Kribbeln.“ Eine Produktionsanlage für die Plasma-Patches im Labormaßstab haben die Wissenschaftler bereits aufgebaut.

Von: https://www.pnp.de/nachrichten/wirtschaft/heimatwirtschaft_oberbayern/

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Ablauf eines Gussvorgangs: Stephan Krafczyk von Coldplasmatech mit einem Silicongel, aus dem das Patch gegossen wird.

Ein Plasma-Patch, das auf Wacker-Siliconen basiert. Zu sehen sind die Leiterstrukturen, mit deren Hilfe wundseitig ein Plasma gezündet wird. Das Plasma erscheint als bläuliches Schimmern. (Fotos: Wacker Chemie AG)