Konzertierte Aktion für Wasserstoff: Substanzielle Rolle für das Bayerische Chemiedreieck

(03.01.2021)

Hoffnungsträger in der Klimapolitik – Aber es gibt noch viele Hürden – Strategie von VCI und IGBCE

München/Burghausen. Wasserstoff (H²) gilt als Hoffnungsträger auf dem Weg in eine entcarbonisierte Wirtschaft und damit hin zu einer deutlichen Reduktion des Ausstoßes an Kohlendioxid in der nahen Zukunft. Sowohl die Europäische Union als auch Deutschland und Bayern setzen auf das Element, um die Ziele in der Klimapolitik zu erreichen.

Die Region, vor allem das Bayerische Chemiedreieck, will auf dem Weg in diese Zukunft eine substanzielle Rolle spielen. Dieses Bekenntnis manifestierte sich bereits vor knapp einem Jahr bei einer Auftaktrunde, angestoßen von MdL Dr. Martin Huber aus Töging mit dem Ziel, zu einer Pilotregion in der Nutzung von Wasserstoff zu werden. Und sehr selbstbewusst war das Bekenntnis beim zweiten Wasserstoffgipfel in Burghausen im September: „Wir wollen – wir können – wir machen“ lautete das Motto.

Inzwischen haben der Verband der Chemischen Industrie und die Gewerkschaft IG BCE ein gemeinsames Positionspapier vorgestellt, in dem sie sich zum Potenzial des Wasserstoffs für eine entcarbonisierte Wirtschaft bekennen. Entcarbonisiert heißt, dass Energie, ob in der Produktion von Gütern oder in der Mobilität, nicht mehr aus fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdgas oder Erdöl stammen sollten.

Aber es gibt in der politischen Debatte weitgehend verschwiegene Probleme und Hürden: Häufigstes Missverständnis: Wasserstoff ist zwar chemisch gesehen ein Primärenergieträger, in der Natur jedoch praktisch nicht in freier Form vorhanden, sondern muss erst mit Hilfe anderer Energiequellen (fossile Energie, Kernenergie oder erneuerbare Energien) gewonnen werden. Wasserstoff ist somit eher als Energieträger, vergleichbar dem elektrischen Strom und nicht als Primärenergiequelle zu sehen. Damit ist eine Wasserstoffwirtschaft nicht automatisch nachhaltig, sondern nur so nachhaltig wie die Primärenergien, aus denen der Wasserstoff gewonnen wird.

Derzeit geschieht die Gewinnung von Wasserstoff primär auf Basis fossiler Energieträger wie dem in Erdgas enthaltenen Methan. Konzepte für zukünftige Wasserstoffwirtschaften sehen zumeist die Wasserstoffgewinnung aus erneuerbaren Energien vor, womit eine solche Wasserstoffwirtschaft emissionsfrei sein könnte. Und wenn es „grüner Wasserstoff“ sein soll, also regenerativ gewonnen, zumal mit Hilfe elektrischer Energie aus Photovoltaik oder Windkraft und Wasser, dann werden enorme Mengen an elektrischer Energie aus diesen Quellen benötigt.

VCI und IG BCE sehen trotz mancher Hürden das Thema konstruktiv: Wasserstoff und darauf aufbauende Produkte können einen substanziellen Beitrag zur Nutzung erneuerbarer Energien und zur Erreichung des Ziels der Klimaneu-tralität Deutschlands in allen Sektoren leisten. In der Chemischen Industrie nimmt Wasserstoff eine Schlüsselrolle ein: Für die Produktion wichtiger Basischemikalien wie Ammoniak und Methanol werden heute etwas mehr als eine Million Tonnen Wasserstoff benötigt.

In der „Roadmap Chemie“ für die kommenden Jahrzehnte wird ein möglicher Weg in eine treibhausgasneutrale Chemie bis zum Jahr 2050 aufgezeigt, mit wesentlichen Beiträgen treibhausgasarm erzeugten Wasserstoffs. Darüber hinaus wird Wasserstoff für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland als relevant bewertet, „denn auch für die Dekarbonisierung anderer Industriebranchen wie Stahlerzeugung und Sektoren wie Verkehr, Gebäudewärme, und Energiewirtschaft wird Wasserstoff eine große Rolle spielen“. Klare Forderung: „Im Zuge der angestrebten Dekarbonisierung muss jedoch die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie erhalten bleiben.“ Daher wollen IG BCE und VCI Treibhausgasneutralität „mit industriellem Wachstum und guter Arbeit verbinden, nicht mit Deindustrialisierung“.

Die Chemieindustrie nutzt heute ca. eine Million Tonnen Wasserstoff jährlich. Für eine Dekarbonisierung bis 2050 wird sich der Bedarf nahezu versiebenfachen. „Entscheidend sollte der CO²-Fußabdruck und nicht das Herstellungsverfahren sein“, lautet die Forderung: „So müssen neben der elektrolytischen Erzeugung von Wasserstoff mittels regenerativen Stroms auch alle übrigen Technologien offen betrachtet werden, die sich zur treibhausgasarmen Herstellung von Wasserstoff eignen, wie z.B. Chlor-Alkali-Elektrolyse, Methanpyrolyse sowie Dampfreformierung mit dem Einsatz von Biomethan und/oder CCS/CCU-Technologien (Speicherung/Nutzung des entstehenden Kohlenstoffdioxids bzw. Kohlenstoffs). Auch die Kreislaufwirtschaft sowie die Nutzung nachhaltiger Biomasse können und müssen signifikante Beiträge zur Dekarbonisierung leisten.“

Die Bedeutung internationaler Kooperation und Energieträgerimporte werden als wichtig und rational eingestuft, dürfen aber nicht zur Abwanderung von Wertschöpfungsstufen aus Deutschland führen. Weil grüner Wasserstoff im Vergleich teuer ist, sollte er am besten nicht verbrannt, sondern lieber stofflich genutzt werden.

Auch daran lassen VCI und Gewerkschaft keinen Zweifel: „Für einen erfolgreichen Markthochlauf treibhausgasarm erzeugten Wasserstoffs sind Gesamtstrompreise von maximal 4 Cent pro kWh erforderlich.“ In diesem Zusammenhang müsse die Systematik der Strompreis-Umlagen geprüft sowie die Anrechnung treibhausgasneutral erzeugten Wasserstoffs in regulatorischen Zielgrößen sowie im Rahmen der Produktkennzeichnung ermöglicht und von energiesteuerlichen Anreizen flankiert werden.

Eine Wasserstoffwirtschaft erfordere den forcierten und kosteneffizienten Ausbau der erneuerbaren Energien sowie den beschleunigten Ausbau der Stromnetze. Und die Realität: Im vergangenen Jahr sind gerade mal 27 Kilometer Hochspannungstrassen in Deutschland gebaut worden.

Das Hauptproblem der Wasserstoffwirtschaft ist aber unverändert die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Es ist derzeit schlicht zu teuer Wasserstofftechnologie statt klassischer Prozesse zu nutzen. Solange es aber kein Geschäftsmodell für die Erzeugung bzw. Nutzung gibt, werden (privatwirtschaftliche) Investitionen im größeren Umfang für die Nutzung von Wasserstoff in der Industrie ausbleiben. Denn hier ist internationale Wettbewerbsfähigkeit gefragt. Das heißt auch, dass höhere CO²-Preise, die für Mobilitätsthemen einen Effekt auf das Investitionsverhalten haben mögen, keinen echten Schub für die Wasserstoffwirtschaft in der Industrie bringen werden. Im Gegenteil, hier würden sie für höhere Kosten sorgen und eher zu einer Schwächung der Unternehmen und somit zu einer stillen Verlagerung von Produktion ins Ausland führen. Nötig sind langfristig gute Rahmenbedingungen wie beispielsweise niedrige Strompreise für die Industrie oder – wenn das nicht klappt – Kompensationsmechanismen, die hiesige Unternehmen bei Nutzung der klimafreundlichen Technologien dauerhaft für die daraus entstehenden Mehrkosten entschädigen. Hierfür werden sogenannte Carbon Contracts for Difference (CCfD) diskutiert, bei denen der Staat oder die EU über garantierte Preise für klimaschonend hergestellte Produkte den Wettbewerbsnachteil ausgleicht. “

Eine Finanzierung der erforderlichen technologischen Investitionen kann laut Strategiepapier durch Carbon Contracts for Difference (CCfD) erfolgen. Grundprinzip der Carbon Contracts for Difference (CCfD) ist, dass der Staat oder eine staatlich beauftragte Institution mit den Unternehmen einen Vertrag über garantierte Preise für innovative/treibhausgasarm bzw. -neutral hergestellte Produkte abschließt.


Stimmen zum Potenzial
Dr. Christian Hartel (Vorsitzender der Bayerischen Chemieverbände und Vorstandsmitglied der Wacker Chemie AG): „Die Region, die als erste verstanden hat, dass erneuerbare Energien im Überfluss zu ganz günstigen Preisen der Schlüssel zum Erfolg sind, für viele Industrien, aber auch für soziale Gerechtigkeit und für Klimaschutz – wer das als Erster begreift und umsetzt, wird nachhaltig einen großen Wettbewerbsvorteil für diese Region haben.“

Prof. Dr. Rudolf Staudigl (Vorstandsvorsitzender der Wacker Chemie AG): „Wasserstoff hat mit Sicherheit eine große Zukunft – als Energieträger, als Reduktionsmittel oder als Rohstoff. Der Schlüssel zur Klimaneutralität ist die Elektrifizierung der Industrie. Was wir dazu brauchen, sind große Mengen von Strom aus erneuerbaren Quellen – zu international wettbewerbsfähigen Preisen. Die Europäische Union hat einen Innovationsfonds aufgelegt. Sie fördert mit einer Milliarde Euro innovative CO2-arme Technologien. Die Wacker Chemie hat dazu ein konkretes Projekt unter dem Namen ,RHYME Bavaria‘ für den Standort Burghausen entwickelt und zur Förderung bei der EU eingereicht. Es geht dabei um die Produktion von grünem Wasserstoff und erneuerbarem Methanol. Das angepeilte Investitionsvolumen liegt bei rund 100 Millionen Euro. Klar ist aber: Ohne politische Unterstützung und vor allem ohne verlässliche Rahmenbedingungen für einen langfristig gewinnorientierten Betrieb wird sich ein erfolgreicher Einstieg in die Wasserstoff-Technologie nicht realisieren lassen.“(Anm. d. Red.: RHYME steht für Renewable HYdrogen und MEthanol.)

Prof. Dr. Philipp Keil (Leiter des Campus Burghausen der TH Rosenheim): „Wasserstoff bietet ein enormes Potenzial für die heimische Wirtschaft. Für eine nachhaltige Entwicklung der chemischen Industrie müssen wir jetzt die Defossilisierung durch den Einsatz von Wasserstofftechnologien, auch in Verbindung mit Biomasse und Kunststoff-Recycling, voranbringen. Bei diesen Zukunftstechnologien müssen wir einen vorderen Platz in der Weltspitze erreichen – eine Riesenchance für unsere Region als Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort.“

Dr. Martin Huber (MdL und Impulsgeber für die Wasserstoff-Initiative): „Wir können von Forschung und Lehre, Herstellung, Anwendung in Industrie und Mittelstand bis hin zu Lagerung und Transport die komplette Wertschöpfungskette beim Wasserstoff abbilden. Dies kann unsere Region ganz weit nach vorne bringen – bei Klimaschutz, Innovation und Wertschöpfung. Damit können wir zu einem Top-Standort für CleanTech werden. “

Anton Steinberger (Geschäftsführer der RegioInvest Inn-Salzach GmbH): „Wir haben mit der RegioInvest bereits ein Projekt initiiert, mit dem Selbstverständnis als Wasserstoff Modellregion Altötting/Burghausen und dem Ziel der Umstellung des Güterverkehrs auf dem Terminal Burghausen und der Bereitstellung von grünem Wasserstoff für chemische Produktionsverfahren sowie der Forschung zu und Entwicklung von Wasserstofftechnologien mit dem Campus Burghausen der TH Rosenheim.“


Potenzial und Hürden
Vorteile von Wasserstoff:
Im Unterschied zu Strom oder Wärme ist Wasserstoff gut speicherbar. So kann er auch zur „Glättung“ der Erzeugung erneuerbarer Energie beitragen und so einen Hauptkritikpunkt an diesen Energiegestehungstechnologien entkräften. Wasserstoff kann auch in Verbrennungsprozessen/ chemischen Reduktionen ohne CO²-Fußabdruck eingesetzt werden – lokale „Luftverschmutzung“ kann reduziert werden (die hohen Verbrennungstemperaturen können ggf. ein Stickoxidproblem mit sich bringen). Im Prinzip kann Strom in Wasserstoff (Elektrolyse) und Wasserstoff in Strom (Brennstoffzelle) gewandelt werden – beide zusammen können so prinzipiell eine CO²-freie Energielandschaft bereitstellen, die den meisten Verwendungen gerecht werden kann. Bestimmte Infrastrukturelemente, zum Beispiel Gas-Pipeline, können für eine Wasserstoffwirtschaft umgewidmet werden.

Herausforderungen: Grüner Wasserstoff ist derzeit noch viel teurer als grauer. Projekte, die auf grünen Wasserstoff setzen, sind daher ohne Förderung meist nicht realisierbar. Es gibt kein klares Szenario, wie eine echte Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden kann. Das Bild einer „zukünftigen Wasserstoffwirtschaft“ ist noch unklar. Investoren können nur schwer eine gute Strategie entwickeln, weil das relevante Umfeld noch nicht existiert. Projekte zur Erzeugung und zum Verbrauch müssen derzeit noch synchron geplant und umgesetzt werden. Politischer und wirtschaftlicher Rahmen sind noch unsicher, zum Beispiel durch Faktoren wie EEG, Netzregulierung oder Bestandsschutzregelungen.

Gewaltiger Wasserbedarf: Für die Elektrolyse von einem Kilogramm Wasserstoff werden 9 Kilo Wasser benötigt. Die Herstellung von sieben Millionen Tonnen Wasserstoff (Bedarf der chemischen Industrie laut VCI Studie 2050) würden im Jahr etwa 63 Millionen Kubikmeter Wasser (höchster Qualität) benötigt – das entspricht etwa dem Wasservolumen des Schliersees (0,05 Kubikkilometer. Das zur Elektrolyse verwendete Wasser geht allerdings nicht verloren, sondern kehrt über die Verwendung des Wasserstoffs in den Kreislauf zurück.

Gewaltiger Strombedarf: Der Strombedarf für die Herstellung von Wasserstoff im Elektrolyseverfahren direkt an der Tankstelle liegt derzeit bei ca. 55 Kilowattstunden für ein Kilo Wasserstoff bei einem angenommenen Wirkungsgrad von über 60 Prozent. Für eine Tonne Wasserstoff liegt der Bedarf bei 55 Megawattstunden. Auf den angenommenen Bedarf von sieben Millionen Tonnen der Chemischen Industrie im Jahr 2050 umgerechnet bedeutet das einen Bedarf von rund 385 Milliarden Kilowattstunden allein für die Wasserstoffgewinnung für die chemische Industrie. Der aktuelle Gesamtstromverbrauch in einem Jahr in Deutschland liegt bei rund 600 Milliarden Kilowattstunden.

Projekte in der Region
Im Bayerischen Chemiedreieck sind die Pläne für die Entwicklung und den Einsatz der Wasserstofftechnologie bereits fortgeschritten. So soll z.B. der Schwerlastverkehr zwischen Werken und Container-Terminal auf Wasserstoff umgestellt werden; auch im ÖPNV und im Bahnverkehr durch die Südostbayernbahn (SOB) ist der Einsatz von Wasserstoff vorgesehen. Wasserstoff fällt in der Produktion, etwa bei Vinnolit oder bei der OMV bisher als Zwischenprodukt an und könnte höherwertig zum Einsatz kommen, v.a. wenn dieser graue Wasserstoff zumindest übergangsweise als „grüner Wasserstoff“ gewertet werden könnte. Ein Projekt mit einem potenziellen Investitionsvolumen von rund 100 Millionen ist aktuell von der Wacker Chemie AG mit einem Partnerunternehmen zur Förderung bei der EU eingereicht.

Von: WiföG/Heimatwirtschaft ANA

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