Zukunftsrat: "Chemiedreieck besonders negativ betroffen"

(17.04.2011)

Burghauser Bürgermeister Steindl zum Zukunftsgutachten: Niederbayern und München nehmen Region in die Zange Passau/Burghausen. Das Gutachten des Zukunftsrates zu den Entwicklungspotenzialen in Ostbayern hat vor allem in Niederbayern für Empörung gesorgt. Beim Stammtisch der Passauer Neuen Presse und ihrer Regionalausgaben waren Politiker und Wirtschaftsvertreter scharf mit Ministerpräsident Horst Seehofer ins Gericht gegangen; Ostbayern dürfe nicht abgehängt werden. Unter ihnen war auch Burghausens Bürgermeister Hans Steindl. Und der betont jetzt in einer Streitschrift, dass das Chemiedreieck um Burghausen und Altötting besonders negativ betroffen wäre, sollte Bayern die Metropolen künftig überproportional stärken. Begründung: Das Chemiedreieck werde dann in die Zange genommen − von München und auch Niederbayern, weil diese "Aufsteigerregion" nach wie vor besonders stark gefördert werde. Steindl fordert u.a. eine stärkere Zusammenarbeit des Raumes mit Niederbayern. Im Folgenden Steindls Gedanken: "Es ist eigentlich erstaunlich, dass den gutachterlichen Ergebnissen und Zustandsbeschreibungen ein so hoher Stellenwert, vor allem Neuigkeitswert beigemessen wird. Eigentlich setzt es nur die bisherige Politik weitgehend fort. Die Frage der Urbanisierung ist bereits realer Alltag. Die Begleitbemerkung allerdings, dass diese Ballungsräume dadurch attraktiver, lebenswerter und lebensfähiger sind, ist gegenüber den ländlichen Räumen als Provokation zu verstehen. Durch den Ausbau und die Ausbaunotwendigkeit, die die Metropolregionen München (Messe, Anbindung, Allianz-Arena) und Nürnberg (Anbindung der Messe, Ausbau der S-Bahn, Zusammenwachsen mit Fürth und Nürnberg-Erlangen, Maßnahmen der Arbeitsplatzerhaltung nach Krisen von Quelle, Grundig) genommen haben, sind diese politischen Steuerungselemente von der Staatsregierung schon massiv eingesetzt worden. Hier wurden auch durch schnelle Kabinettsentscheidungen Millionen transferiert − Geld, das in regulären Haushaltsplänen noch gar nicht vorgesehen war, sondern im Vorgriff oftmals erst beschafft werden musste. Die Monopolregionen wurden massiv ausgebaut. Gerade München. Stichworte sind die zweite Stammstrecke München-Hauptbahnhof oder die Verkehrsausbaumaßnahmen durch die Olympischen Spiele. Jüngste Entwicklungen sind massive Planungen für den Ausbau von Konzertsälen, den Bau von neuen Museen (Ergänzung des Areals um die Pinakothek in München), von Staatstheatern etc. Dreistellige Millionenbeträge werden hierfür veranschlagt. Dagegen steht eine massive Benachteiligung im Geldtransfer für genau die Regionen außerhalb und um die Metropolregionen. Und dieser Trend wird in Zukunft mehr oder minder weiter fortgeschrieben. Der Raum des Chemiedreiecks leidet darunter besonders, denn: Auch Niederbayern hat sich von einem strukturschwachen Gebiet zu einer starken Wirtschaftsregion entwickelt. Alle Zahlen sprechen von einer Aufsteigerregion. Rund 60 Prozent aller zur Verfügung stehenden Fördermittel aus Strukturtöpfen − auch aus europäischen Mitteln − wurden in den niederbayerischen Raum transferiert. Niederbayern hat eine Autobahn und wurde jahrelang auch von EU-Fördermitteln verwöhnt. Der Raum um Altötting und Burghausen dagegen droht, jetzt in eine verhängnisvolle Zange genommen zu werden. Auf der einen Seite der Bereich Niederbayern mit den Kritikern, die das Zukunftsgutachten als Kampfansage betrachten, und sich jetzt entsprechend zusammenschließen. Auf der anderen Seite der Raum um Traunstein, Rosenheim, Berchtesgaden, sehr gut vernetzt bereits mit Salzburg und Tirol und ebenfalls mit großen Zukunftsaufwendungen bezüglich Brenner-Basistunnel, A 8 etc. Und dann die Metropole München. Wo bleibt der Landkreis Alötting? Man kann auch Mühldorf und das Rottal − auch wenn Letzteres in Niederbayern liegt − ohne Probleme mit dazu nehmen. Die Chance auf Besserung ist nur dann gegeben, wenn wir uns jetzt selber aus eigener Stärke heraus organisieren, uns auch in bestimmten Gremien zusammenschließen und uns Fachleute aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu einem eigenen Zukunftskonzept, man könnte auch von einer Zukunftswerkstatt oder von einem Zukunftsdialog sprechen, suchen. Mühldorf, Altötting und Burghausen führen bislang in Sachen Verkehrsinfrastruktur ein Randdasein. Dies gilt auch im Bereich Bildung. Wir haben uns in Burghausen bereits 1991 für den Standort der Fachhochschule beworben. Wir sind nicht zum Zuge gekommen, da bei Hochschulen aufgrund des Regionalproporzes Passau, Deggendorf, Ansbach bedacht wurden. Ein neuer Anlauf ist sinnlos. Wir sollten entweder auf neue Felder der weiterführenden Bildung vorzustoßen und hier Initiativen entwickeln, oder aber mit bestehenden Fachhochschulen kooperieren; quasi ,Tochterfilialen‘ gründen, um in ausgewählten Studiengängen Studenten mit Praktika zu versorgen und Prüfungsanforderungen auch außerhalb des Mutterstandorts erfüllen zu können. Zu denken wäre hier auch an eine Partnerschaft mit der TU Deggendorf. Eine Zusammenarbeit wäre etwa in den Bereichen Verfahrensingenieur, IT-Technik oder Biotechnologie möglich. Im Feld der Weiterbildung könnte sich der Raum Mühldorf, Altötting und Burghausen etwa im Bereich Chemie positionieren. Ich verweise hier auf Straubing, wo in einer Strukturentscheidung des Freistaats zusammen mit der TU München ein Standort für nachwachsende Rohstoffe geschaffen wurde, was auch zur Ansiedlung namhafter Wissenschaftsinstitute führte. Und wir haben noch andere ausbaufähige Felder. Beispiel Berufsakademien: Zwei sind ja bereits im Landkreis (Berufsakademie für Musik in Altötting und Berufsakademie für Theater/Regie/Schauspiel in Burghausen). Hier sollten Möglichkeit eines qualifizierten Weiterbildungsstudiums geschaffen werden. Ich verweise auf die Steinbeiß-Berufsakademien in Baden-Württemberg und auf jüngste Einrichtungen privater Fachhochschulen in Salzburg und Bad Reichenhall. Denkbar wären auch sog. Abiturientencamps, die das Forschen im voruniversitären Stadium und die Akzeptanz bei jungen Leuten für Naturwissenschaften in den Vordergrund stellen. Ein weiteres Modell könnte eine europäi-"Burghausen wäre guter Fachschulort" sche Fachschule sein, als eigenständiger neuer Zweig, zusammen mit dem Bezirk Braunau, ebenfalls im naturwissenschaftlichen-technischen Bereich, als Ergänzung zur HTL und Verknüpfung mit bestehenden FHs (Rosenheim, Deggendorf). Hier müsste man mit der österreichischen Seite Kontakt aufnehmen. Zusammen mit den Betreuungssystemen TU München/Deggendorf/Rosenheim und einer wissenschaftlichen Begleitung durch das Fraunhofer Institut wären dafür Möglichkeiten gegeben. Burghausen ist als Standort insofern interessant, als das Areal beim Berufsbildungswerk bereits im Flächennutzungsplan und im Bebauungsplan als Bildungscampus ausgewiesen wurde, und dort genügend Freiflächen zur Verfügung stehen. Wenn wir uns nicht entsprechend auf die Hinterfüße stellen, werden wieder Chancen für den Landkreis Altötting verspielt."

Von: http://www.pnp.de/region_und_lokal/landkreis_altoetting/burghausen/

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Wo bleibt der Landkreis Altötting?“, fragt Burghausens Bürgermeister Hans Steindl. Foto:Jäger/PNP